Ein schwarzes Kapriölchen zur schwarzen Kapriole

Zu Ute Cohens Falscher Garten

Was den Mix aus überdrehtem Splatter-Movie und quirligem Berliner Nattern-Nest angeht, spielt das dritte Werk von Ute Cohen, namens Falscher Garten, in der Liga von Charles Willeford und Don Winslow. Und wie bei Mr. Wins-blow komme ich mir vor, als ständen die Worte in einer fremden Sprache da – ständig muß ich nachschlagen, worauf sich dieses oder jenes bezieht, damit es Puff machen kann und ich ein Match habe. 

Neben Mord, Schokolade und noch mehr Schokolade dreht sich offenbar alles um ein grauenhaftes Verbrechen, welches weder geschehen ist, noch ungeschehen gemacht werden kann – weil es die ganze Zeit über stattfindet. Im Grunde könnte das nur dieser Typ namens Valverde aufklären … Der Mann vom Fach. Aber er kommt einfach nicht dazu! Er ist frisch verliebt, Berlin ist anstrengend, seine neue Freundin Susa ist noch anstrengender – andererseits ist sie jede Mühe wert, sich ein wenig Mühe zu geben. 

Ansonsten diesmal keine Lust zu spoilern. 

Denn auf einer weniger wissbegierigen Ebene genieße ich es, die Werke von Ute Cohen regelrecht einzuhauchen – wie Tabakrauch, Musik oder einen Blick im Vorbeigehen. Mir doch egal worum es geht, wenn ich mich amüsiere … woraufhin mein Hirn plötzlich doch anspringt und anfängt zu tanzen – am liebsten zusammen mit der dunklen Seite von Ute Cohen. 

Wie in all ihren Romanen, Interviews und Essays lockt die Handlung in ein Gewebe aus allem, was die Cohen’schen Synapsen je getriggert hat – und das ist so ziemlich alles, was in der öffentlichen Debatte momentan ein wenig unterrepräsentiert zu sein scheint:  Intelligenz, siehe auch menschliche Intelligenz, Anstand, Stil, Charme und Eleganz sowie, mit frischer Zitrone angemachtes, Böse-böse …

– quasi, MENSCH-sein. 

Die Vergangenheit

Im Gegensatz zu diesem Text, arbeitet Ute Cohen nur vordergründig mit Stereotypen:  So manche Fährte im Falschen Garten endet auf von Mikro-Orgasmen …, ich meine Macro-Organismen, (fuck …!), jetz’ aber: auf von Milliarden und Abermilliarden  Mickroaggressionen verseuchtem Terrain: Offenbar hat sich Valverde in der Vergangenheit unendlich vieler sowie eines ganz besonders schrecklichen Verbrechens schuldig gemacht.  Jeder Mensch weiß, Mord ist schlimm, aber Frauenmord geht gar nicht! Erst recht nicht in diesen Zeiten! Und dann auch noch 5 an der Zahl? Riecht verdächtig nach Quote …, aber doch nicht so! Wenn, wie ich des Öfteren höre, jede Frau von Geburt an ein Opfer ist (zum Beispiel der Verhältnisse außerhalb von Berlin-Mitte), wird sie dann nicht bereits beim ersten Mal, quasi zum zweiten Mal dahingemeuchelt? In Wahrheit also zehn Frauen? Sprechen wir hier über ein Massaker? 

T(w)ripper 

RUF-Mord hingegen … Alter! Der absolute Hit der Twitter-UN-Menschen! Diese degenerierte Truppe hat sozusagen die Weltherrschaft übernommen – Donnie T. ist weg, lang lebe Donnie! Unser im Netz zuckendes Wimmelbildchen bestimmt das Primat der Politik und scheucht deren Primat-donnen durch die Bundestags-Manege! T(w)ripper als Institution spricht Recht und richtet praktischerweise gleich noch hinterher. … außerdem gibt besagte T-PLATT-form jeglichen Minderheiten, ach was, eigentlich jedem geistig Minderbemittelten eine Stimme. Selbst olle Joe kriegt hier gelegentlich ‘nen halbwegs fehlerfreien Einzeiler raus. 

Dummerweise wird ausgerechnet unsere Demokratie, in Form einer lebendigen, empathischen und solidarischen Zivilgesellschaft – also genau diejenige Zivilgesellschaft, in deren Namen dieses ganze Theater angeblich stattfindet –  auf Twitter häppchenweise zu Grabe getragen. Und das auch noch quasi im Geheimen – I know, tut weh, is’ aber so … – denn die meisten Menschen gehen den ganzen Tag arbeiten und haben keine Zeit sich brain-abzufucken.

Also wenn das mal kein Paradox ist.

Fast wie ein Killer, der frisch verliebt ist und sein bisheriges Leben hinterfragt … aber dazu später.

Die Fundamentalkritik

Denn die vierte Ur-Gewalt im Staat, die Presse, drückt sich in der T-Diaper natürlich auch die Nase platt. Frau Cohen (klingt ziemlich jüdisch … was wird Jakob wohl dazu sagen?) wird daher in diversen Rezensionen fundamental kritisiert, sprich, in die Nähe von Frauenfeindlichkeit gerückt. Weil … besagter Valverde, besagte fünf Frauen ermordet und zu einer Art Kunstwerk vergoldet hat – eine Ehre, welche älteren, männlichen Tätern …, ich meine Opfern eher selten zuteil wird, aber lassen wir das –  und, weil er die süße Susa angeblich wie ein niedliches, naives Flausche-Puschelchen behandelt. 

(Oder so ähnlich.)

Hm.

Herablassung ist doof, nicht wahr? Aber Sie werden es nicht glauben: Wenn ich den Leuten in die Augen schauen kann und sie meine tätowierten Arme sehen, läuft es in der Regel zivilisierter ab.

Die Gegenwart

Zu seinem Glück oder Pech – je nach Sichtweise – ist der Leser recht oft in Valverdes Kopf unterwegs. Und da geht’s, im Unterschied zu den a-sozialen Gesch-netz-werken, über Larmoyanz und Blasiertheit weit hinaus: Es hätte nämlich gut und gerne auch drei Katzen oder sieben Kerle erwischen können – und wo soll das bloß enden? 

In der Gegenwart, in welcher der Herr V. aus H. über beide Schlitzohren verliebt ist, plötzlich eine richtige Familie hat und sich um den Garten, also, den richtigen Garten kümmern muss, will er schließlich nicht im Knast enden. Ausgerechnet in Berlin, wo arabischen Clans der rot-grüne Teppich ausgerollt wird, bzw., wenn die gutgestuzten Bärte doch mal ‘ne Woche hinter Gittern landen, die rasende Renate höchstpersönlich vorbeikommt, mit ‘nem selbstgebackenen, veganen Sesam-öffne-dich-Kuchen. 

Weil … dann müsste Valverde die ja alle umlegen und was würde dann aus Ute Cohen, quatsch … Susa werden, in dieser, unserer heutigen Republik? 

Also ist der Mann fest entschlossen, sein Leben umzukrempeln. Sprich aufzuhören. Mit dem Morden. Folgerichtig muss er sich verändern, sprich,  finanziell verbessern. (Susa ist seine große Leidenschaft und der beste Kumpel den er haben kann – aber sie ist auch eine richtiges Dami, und sowas geriert sich in der Regel recht anspruchsvoll: Zum Beispiel legen solcherart A-Grazien größten Wert darauf, damit anzugeben ihr eigenes Geld zu verdienen – und im gleichen Atemzug das ihres B, C und D-Mannes, ohne mit den frisch gezupften Wimpern zu zucken, genussvoll auszugeben.)

Das schwarze Kapriölchen …

Aber hätte Valverde die fünf alten Schachteln, allesamt korrupte, ehemalige AuftraggeberInnen, einfach laufen lassen sollen? Da wären noch viel mehr – und wie heutzutage üblich -, unschuldige Menschen über die Klinge gesprungen. Für einen Gerechtigkeitsfanatiker mit einem, sagen wir, recht eingeschränkten Humor …? 

Schwierig.

Kleines schwarzes Kapriölchen Richtung Rufmord-Meute: Wenn man’s doch so, so ernst meint und sich so, so sehr auf der richtigen, der guten Seite wähnt, geht das sowas von schnell und – Huch! – ist die Existenz und Würde eines Menschen pulverisiert! Oder aber,  man ärgert sich HÖLLE! – die Buchverkäufe von Lisa Eckart oder diesem Dresdner Schriftsteller – wie hieß der noch gleich? -, mit ein wenig Hetze gegen vermeintliche Hetze, bis ins Unermessliche angeheizt zu haben.

Aber Gemach, will man nicht so sein wie sie, muss man sich diesen Leuten entschlossen, jedoch ohne Schaum vor dem Mund entgegenstellen – danke, René Pfister, für die vielen richtigen Worte. Valverde hingegen, muss eindeutig etwas Liebenswertes an sich haben. Sonst würde Susa – Typ naiv, aber alles andere als blöd – ihn nicht so abgöttisch lieben. Und mit ihm die Anwesenheit ihrer Kinder, sowie ihre kaum zu zügelnden Aufklärunggelüste bzgl. der sogenannten “Uckermark-Bestie” teilen …

Das wahre Leben

Ups, na, sieh mal einer an: Im wahren Leben, also im Buch, krachts durchaus auch mal zwischen den beiden. Meistens, ach nee: wenn Susa sich von besagter “Uckermark-Bestie” … allzu hanseatisch von oben herab behandelt fühlt. 

Frisch versöhnt lieben sie sich auf dem Sofa – wo auch sonst, wenn man Kinder hat und keine allzulange Vergangenheit bei den GRÜNEN –  und wieder verändert sich etwas in Valverdes Denken und Fühlen. 

Die Kraft der Liebe

Und das ist es, worum es geht in dieser Geschichte – neben Mord, Schokolade, noch viel mehr Schokolade und diesem unfassbar grauenhaften Verbrechen, welches Valverde vielleicht doch noch auklären wird … denn auch wenn das Buch auf jeder Seite ein Borstenfell über die Worte gezogen hat – im Kern geht es um nichts weniger als die Kraft der Liebe, der einzigen Kraft auf Erden, welche Wunder möglich macht: 

Kann ein böser zu einem guten Menschen werden, oder ist auf ewig beides in ihm angelegt – die Umstände, you know? Verdienen wir nicht alle gelegentlich ein wenig Nachsicht? Sind wir bereit, dies auch Anderen zuzugestehen? Könnte nicht allein die Vorstellung, das Phänomen der zweiten Chance als gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert anzusehen, jenen Druck abbauen, unter dem wir uns im Netz und immer öfter auch auf der Straße entmenschlichen?

Die Mühe der Ebene

Es gibt TV-Serien, die eine Geschichte in Häppchen, und wenn erfolgreich, bis ins Endlose auserzählen. Und dann sind da jene, thematisch in sich scheinbar abgeschlossenen Geschichten, in denen der Protagonist jedesmal etwas Neues – Case, Schlamassel, Newsroom – durchlebt und der Net-Fixer ihn eben darüber besser kennenlernt.

Ute Cohens Werk führt beide Wege zusammen.   

In ihrem ersten Roman, Satans Spielfeld, muss die von Hass und Schmerz gleichermaßen zerfressene wie erkaltete Marie diese Welt verlassen, damit die Schriftstellerin überleben kann. Womit diese eine, zumindest theoretische Chance bekommt, sich eines Tages wieder lebendig zu fühlen.

Das zweite Buch Poor Dogs, erzählt von diesem Prozess in einem anderen Setting. Das ständige Pendeln zwischen zynischem Sezieren der Morbidität von Natur und Gesellschaft vs. einer tiefempfunden Sehnsucht nach so etwas wie reinen Gefühlen, nötigen die Protagonistin dazu, ihre dunkle Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen. 

Nur, dass Eva das gar nicht will. 

Zumal es in Runde zwei um ihr eigenes Überleben geht …

Im hier und heute und im “Falschen Garten”, kann und darf Susa schlicht und einfach einmal glücklich sein. Die der Hölle Entronnenen klopfen nicht einfach mal so im Himmel an. Manchmal leben sie in Berlin-Grunewald und arbeiten sich, ganz im Brecht’schen Sinne, an den Mühen der Ebene ab.  

The art of Cohen …

Und so spiegelt sich der Cohen’sche Kosmos des Lebens und Leben-lassens in Valverdes Vorstellung von Zivilcourage, sprich, gelegentlich auch mal jemandem das Fell über die Ohren zu ziehen. Womit sich die Balance innerhalb der Beziehung wunderbar durchharmonisiert und der Rest der Welt – so wie immer, wenn das dritte NEWTONsche Gesetz mit von der Partie ist  – schon mal Bescheid weiß:

Don’t fuck with Ute Cohen.

Heiko Hesh Schramm