HESH rezensiert Die Vereinigung jiddischer Polizisten von Michael Chabon.
Die Vereinigung jüdischer Polizisten von Michael Chabon
Manchmal ist es ein Genuss zu sündigen. Heimlich. Tief in der Nacht auf einem kalten Schnitzel herumzunagen – obwohl man jeden Tag fetter wird. Präsident Putin die Grätze an den Hals zu wünschen – obwohl halb Deutschland die Beweg(AB)gründe seines Handelns sooo gut verstehen kann. Die Feministinnen für ihren Kampf um Gleichstellung zu bewundern, meine Frau geradezu abgöttisch zu lieben – aber trotzdem jedem weiblichen Wesen außer Mutti, in den Schritt zu glotzen.
Oder aber, drei Bücher geradezu zu fressen, während man eigentlich ein ganz anderes Buch lesen müsste, weil es heute Abend in Studio B besprochen werden soll …
Drei andere Bücher gelesen? Soso, kann ja jeder sagen.
OK …
1.) Andreas Eschbach’s Eine Billion Dollar, zirka 1000 Seiten, ein Buch wie endlos Würzfleisch essen dürfen. (Für Leute welche aus der Gegend um Düsseldorf hierher zu Besuch kommen, und bei der Zeitangabe viertel drei mindestens eine halbe, meistens aber eine ganze Stunde zu spät am Goldenen Reiter eintreffen:
- Würzfleisch: DDR, Schweinefleisch und/oder Geflügel.
- Ragout Fin: BRD, in der Hauptsache bestehend aus Kalbfleisch und Innereien.
- Gemeinsamkeiten: Worcester Sauce.)
— weiter im Text —
2.) Joseph Wambaugh’s Die San-Diego-Mission, 399 Seiten, ein Buch wie endlos Chicken Nachos mit Käse überbacken, dazu Sour Cream und schwarze Bohnen on the side, das alles zum mitnehmen in der Assiette, irgendwo Nachts an der 6th Avenue – obwohl die Handlung im Grenzgebiet zwischen San Diego und Tijuana spielt …
3.) Henning A. Wenzel’s Späte Stunde der Wahrheit, 227 Seiten, Erzählungen eines in Dresden lebenden deutschen Schriftstellers für den ich, brennend vor Begeisterung, Jim Beam’s Rye Whisky erfinden würde, wenn es ihn nicht schon gäbe. Watch out for the yellow label, dude! Wermutstropfen: der Mann hasst dem Anschein nach Katzen. Das geht gar nicht.
Und an, äh, vierter Stelle – weil ich allen erzähle, dass ich zur Zeit völlig blank bin, wär’s fast unter’n Tisch gefallen:
Cormac McCarthy’s Drehbuch The Counselor, 173 Seiten, ein blutiges, jedoch ganz und gar nicht englisches Rindersteak, druckfrisch von Rowohlt für 12.99.
Kurz und gut, oder in Schrammsch’ wie immer lang und breit:
Das Buch von Michael Chabon Die Vereinigung jüdischer Polizisten, habe ich nicht lesen können!
Aha, es ist also ein Heimatroman und handelt von der Schönheit der Berge in Oberösterreich?
Nope, die Wikipedia sagt: Es ist ein Krimi vor fiktivem, alternativhistorischem Hintergrund: Eine Gründung des Staates Israel hat es nie gegeben, die USA haben den europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg innerhalb ihres damaligen Bundesterritoriums Alaska eine Heimstatt angeboten. Es entsteht ein provisorisch eingerichtetes Gebilde mit jiddischer Sprache unter dem Namen “Federal District of Sitka”. Der Roman spielt nun im Jahre 2007. Ein evangelikaler US-Präsident betreibt die Aufhebung des provisorischen Status, der jüdischen Gemeinschaft droht die Auflösung. Die drohende, erneute Heimatlosigkeit führt zu Spannungen. Ein Mord geschieht, Polizeidetektiv Meyer Landsman ermittelt …
… aber zu all dem kann ich nichts sagen, bin auf Seite 22 abgestorben. An sich kein Beinbruch, passiert halt. Man kommt nicht rein, quält sich kurz, und schenkt die Schwarte jemandem, den man nicht leiden kann. Dumm nur, dass unsere Radioshow ansteht, in der das Buch zentrales Thema ist. Und ich doch unbedingt, also sowas von …, den Drang verspüre, mitreden zu wollen. Dabei sein ist Leben! Atmen! Teil einer Gemeinschaft sein! “Macht sie platt!” “Rettet sie!” “Wen jetz nochma?” “Egal, Hauptsache druff!”
Warte ma. Wovon willst du mitreden, wenn du das Buch nicht liest?
Naja, mir würde da schon das eine oder andere … denn, glücklicherweise – zu keinen Zeiten war es so dermaßen unproblematisch wie heutzutage, über etwas zu reden, zu urteilen oder zu schwärmen – von dem man keinerlei Ahnung hat.
Amerika ist grässlich – du warst nie dort. Politiker sind faule Säcke – noch nie einen aus der Nähe gesehen, geschweige denn einmal dessen Arbeitstag geteilt. Und Sandy ist so geil in der Kiste – woher weiß er das? Sie hat ihn doch nie rangelassen …
Oder jemand fragt: “How are you?”
Nun versuch da mal wahrheitsgemäß zu antworten. Der denkt du bist irre. Das machen Millionen so, produzieren Unmengen an Geschwalle. Bloß gut, dass Twitter da einen Riegel vorschiebt-
Apropos Text.
Ich schreibe tausendfach zu lange Essays. Nach hundertfachem kürzen. Einfach zu oft, zu verliebt in einen Satz, der Kerl! Grenzenlose Eitelkeit besorgt den Rest.
Apropos Rest.
Folgender Satz auf besagter Seite 22, gab mir den Rest, ich zitiere: “Nur um sich selbst zu ärgern – denn sich zu ärgern, andere zu ärgern, die Welt zu ärgern, ist die Lieblingsbeschäftigung und das alleinige Erbe von Landsman und seinem Volk.”
Ich wusste also nun, dass der Schriftsteller Michael Chabon Jude ist, sonst wäre dieser Satz samt dem dazugehörigen Buch weder in den USA noch in Deutschland je verlegt worden. Nun baute sich plötzlich ein riesiger innerer Druck auf, dass ich mit der Schreibe dieses Mannes nicht zurecht kam …
“Heshie, was hast du denn?”
Also, irgendwann im letzten Jahr gab es einen kleinen Sommerloch-Eklat in der Presse. Der deutsche Journalist Jakob Augstein erachtete es für notwendig, Israels, seiner Meinung nach, aggressive Außenpolitik zu kritisieren. Die Reaktion war ein orgiastisches Maunzen und Röhren im Blätterwald. Die Einen schrien: Judenhasser! Andere skandierten: Meinungsfreiheit! Selbstverständlich meinten allesamt aber nur ihre jeweils eigene Vorstellung davon. Im speziellen Fall war von sekundärem, das heißt verstecktem Antisemitismus die Rede. Dieser kröche neuerdings aus allen Löchern. Herr Broder schüttete frischen Kies drauf, also, auf die Löcher, und nannte Augstein rundheraus einen Antisemiten. Nun, der von mir verehrte Herr Broder muss es schließlich wissen. Lange dachte ich sogar, antisemitische Subtilitäten ließen sich überhaupt nur von einem jüdischen Bürger erspüren. Aber das ist Blödsinn.
Für mich, naiv wie ich bin, – gibt es nur Menschen. Gute und schlechte, große und kleine, die schönsten sind die Frauen. Jeder Genozid, aufgrund von irgendwas, ist für mich nicht fassbar. Mir sogleich widersprechend, anbei mein Lebensmotto: Alles was Menschen tun, wie grässlich es auch immer sein mag, ist per se menschlich. Ist die Ermordung von Millionen von jüdischen Menschen während der Hitler-Diktatur somit lediglich ein besonders saftiges Kapitel der menschlichen Pathologie? Nein – denn die Zeit heilt nun mal nicht alle Wunden: Riesige Löcher in einem Volk bleiben für alle Zeiten gerissen.
Und damit bleiben wir beim Thema meines heutigen Beitrags zu Studio B: Mitreden, wovon man keine Ahnung hat. Herrn Augsteins Gedanken hin oder her, der Punkt ist: Die Deutschen, haben es ein für alle mal verkackt mit Israel. Die sollten hier einmal wirklich nicht mitreden. Und sich, so berechtigt es ihnen bisweilen erscheinen mag, jede Belehrung verkneifen, was das Schicksal des jüdischen Volkes angeht.
Ansonsten, würde ich gern von meinem Traum erzählen. Wie soeben ausgeführt, habe ich leider den falschen Pass, um die mir in diesem Traum erschienen phantastischen Bilder in gedruckter Form an die israelische Botschaft, sowie die palästinensische Vertretung zu schicken. Die Mahnung zur Zurückhaltung aufgrund unserer dunklen Vergangenheit wird noch verstärkt durch eine viel grundlegendere Problematik. Diese besteht, schlicht und einfach, in unserer/meiner westlich geprägten Sichtweise. Es ist Hybris in Vollendung, sich anzumaßen, bloß weil wir scheinbar gut dastehen, die Probleme der Länder des Ostens beurteilen zu können. Ob Griechenland oder Israel, ob naher oder noch näherer Osten, WIR sind weder schlitzohrig noch leidgeprüft, wir sind nur noch fett. Westler können Wachstum! Klar, oft genug zwar hauptsächlich auf Kosten fremder Völker und Nationen, aber das schert uns doch nicht. Kuschelig weich fühlt er sich an bisher – der Externalisierungsfleece. Die Deutschen ziehen ihr Rechnungsbuch sogar noch höher als das Kruzifix, sofern sie überhaupt einer Konfession angehören. Achtung, Heißluftballon über dem Kirchenschiff! Am Ende verpufft alles im Tal der Selbstgefälligkeit. Stolz und Würde sind hierzulande weder im Arbeitsleben noch in der Politik Maßstab des Handelns, wenn überhaupt, sind sie reine Privatsache. Wir verstehen nicht, wie die Menschen dieser fernen Länder ticken, daher haben wir auch keinerlei Mitspracherecht uns ein Urteil darüber anzumaßen, auf welche Weise diese Nationen an ihre ureigensten Probleme herangehen.
Fein aufgesagt. Aber wer kann schon was für seine Träume …, also los gehts:
——- Im Jahre 2345 sind sowohl Israelis als auch Palästinenser des ewigen Zankes müde. —- Es wird eine Konferenz einberufen – führende Vertreter Israels und Palästinas kommen mitten im Herzen Jerusalems zusammen. Das Treffen findet ohne Vermittlung oder gar die Teilnahme ausländischer Mächte statt. Hillary Mason, die zweite farbige Präsidentin in der Geschichte der USA, nimmt sich an diesem Tag die Zeit, der Öffentlichkeit den neuen Wellnessbereich im Weißen Haus vorzustellen. —- Bei der heiklen Zusammenkunft wird nur ein Thema verhandelt: Wie gehen wir mit den gemeinsamen Wurzeln in Jerusalem um. Müssen sie auf ewig zwischen uns stehen, oder könnten vielleicht gerade sie helfen, uns ein Stück weit einander näher zu bringen? —- Alles beginnt wie immer, endlose Diskusionen verlaufen in alten Mustern, man reibt sich an Kleinigkeiten, und keine ist klein genug, um auch nur einmal nachzugeben. Kein Ende scheint in Sicht. Nach drei langen Tagen und Nächten voller Streit und Schuldzuweisungen, fängt einer der Berater des israelischen Ministerpräsidenten plötzlich laut an loszulachen. Der Mann wird vor Erschöpfung langsam hysterisch, sein Lachen klingt anfänglich nicht gerade fröhlich. Da er jedoch von den Mitgliedern der palästinensischen Delegation geschätzt wird, weil sie ihn als einen Menschen ohne Vorurteile kennengelernt haben, fällt allen ihre Müdigkeit ein, die momentane eigene, wie auch die ewige, längst als schreckliche Last empfundene kollektive Erschöpfung ihrer beider so lange schon geschundenen Völker. Alle miteinander sehen sie zum ersten Mal in ein und denselben Spiegel, und langsam, einer nach dem anderen, stimmen sie ein, in ein so verschiedenartig anmutendes Lachen, dass es, wenn man es hätte sehen können, dem Farbspekrum eines Regenbogens entsprochen hätte. Als im Saal wieder Ruhe einkehrt, erhebt besagter Mann plötzlich die Stimme und macht einen Vorschlag, den die Männer und Frauen im Saal noch vor einigen Minuten für den sicheren Beweis gehalten hätten, dass der geschätzte Kollege schlicht verrückt geworden sei. Man berät sich kurz. Eine seltsame Stimmung gleichverteilter Unsicherheiten, aber auch vereinzelt glimmender Hoffnung lässt das Licht im Raum heller erscheinen. Die um sich greifende Vorahnung, einem historischen Moment beizuwohnen, wirkt berauschend. Kurz darauf erfolgt die Abstimmung. Sie ist ein überwältigender Erfolg. Der Beschluss ergeht einstimmig: —- Die besten Töchter und Söhne Palästinas und Israels werden auserwählt. Sie erhalten einen Pass und sind ab sofort Bürger Jerusalems. Als eine Abordnung ihrer Völker einen Neubeginn zu wagen. Mit dem Privileg, gleichberechtigt an den heiligen Stätten vertreten zu sein. Die Teilnahme am Leben in der Stadt, gilt in dieser Zeit als Auszeichnung und beinhaltet die Verpflichtung zu einem friedlichen Miteinander, und den Aufbau einer Universität inklusive einer Geschichtsfakultät. —- Man einigt sich auf harte Einschnitte: —- Alle in Israel lebenden Palästinenser müssen für eine Zeit das Zentrum der Innenstadt Jerusalems verlassen. —- Im Gegenzug stimmt Israel der Gründung eines eigenen Staates Palästina zu. Die Mauern an der Grenze zum Gazastreifen bleiben vorerst bestehen, Tunnel werden zugeschüttet. Eine gemeinsame Polizeieinheit wird ins leben gerufen, deren einzige Aufgabe es ist, das Zentrum Jerusalems rund um die heiligen Stätten vor Anschlägen und Sabotageakten zu schützen. —- Man ist sich einig: Es darf ein Jahr lang auf beiden Seiten keine Toten geben. Die Menschen müssen wieder klar denken können. Ohne Hass, ohne Blindheit, ohne unbändige Wut. Mächtige Organisationen von Müttern, deren Söhne im blutigen Kampf beider Völker gefallen sind, mahnen die Verantwortlichen, im Gedenken an ihren unbändigen Schmerz, jetzt nicht einzuknicken und den Menschen endlich ein Leben in Frieden zu ermöglichen. Die Proteste der Siedler, der Orthodoxen sowie der Hamas hören sich zunehmend an wie dünnes Gebrabbel aus einer Vergangenheit, die alle miteinander nur noch hinter sich lassen wollen. Unter den Menschen breitet sich Hoffnung aus. Junge Männer zeigen den Rattenfängern des Terrors den Stinkefinger, erstmalig sehen sie eine Perspektive für ein Leben in Würde und gegenseitigem Respekt. Sie wollen anpacken, ihr Land aufbauen, zu Wohlstand kommen – für all dies müssen und wollen sie leben. Selbstmordattentate erleben einen dramatischen Rückgang. —- Nach einer Übergangszeit, zu Beginn von kleineren Zwischenfällen und Scharmützeln begleitet, welche jedoch durch die enge Zusammenarbeit der offiziellen Stellen, sowie den beherzten Einsatz von Bürgerwehren auf beiden Seiten rasch abflauen, erhält jeder Einwohner beider Länder eine Besuchserlaubnis zur Besichtigung der Stadt. Am Ende steht eine in vielen Fällen weiterhin kompliziert verlaufende, aber letztendlich friedliche Koexistenz zwischen einem zur eigenständigen Nation heranwachsenden Palästina und dem modernen Israel. Die Mauern werden abgebaut. Es entsteht ein normaler Grenzverlauf, mit freundlichen israelischen Grenzbeamten …
So, wir wachen langsam auf und stoßen uns nicht das Köpfchen. Eingangs sprach ich von Hybris. Gutgemeinte Anmaßung bleibt immer noch Anmaßung. Also, spende für’s rote Kreuz, hilf auch nur einem einzigen Flüchtling und besprich deine Träume mit deinem Therapeuten.
Was aber hat all das mit Mr. Chabons Buch zu tun? Warum hast du jeden Satz zweimal gelesen und bist dennoch nicht reingekommen? Der Übersetzer? Ja, ja, hau drauf. Keine Ahnung. Aber nah dran: Es ist die Sprache. Es ist immer die Sprache. Das liest sich so, so spröde – knarz, harz, bratz. Als würden Spejbl und Hurvinek zusammen mit dem braven Soldaten Schwejk ein Wettschnitzen mit dem Hauptmann von Köpenick veranstalten, und herauskäme der liebe Pinoccio, klein und niedlich und noch ohne langen Zinken …
Langer Zinken?
Ups, so schnell geht das?
Am Anfang habe ich vom Genuss des Sündigens geschrieben. Ist mir längst vergangen und der Angst gewichen, einer wirklich schlimmen Sünde für schuldig befunden zu werden. Nämlich, dass tief in meinem Herzen, das Schreckgespenst des Antisemitismus auch meinen Blutkreislauf vergiften könnte. Was die abschließende Frage aufwirft: Wäre es einfacher gewesen, dieses Buch entspannt aus der Hand zu legen, wenn Michael Chabon ein tschechischer Christdemokrat wär?
Hesh
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